Wenn das eigene Kind den Kontakt abbricht – Ein Brief an verletzte Mütter und Väter
Wenn das eigene Kind den Kontakt abbricht – Ein Brief an verletzte Mütter und Väter
Es gibt kaum etwas Schmerzvolleres, als wenn das eigene Kind den Kontakt abbricht. Plötzlich ist da Stille, Funkstille – und mit ihr ein unbegreiflicher Schmerz, Ohnmacht, Wut, vielleicht auch Scham. Mütter schreiben mir, sie verstehen nicht, was passiert ist. Sie fühlen sich verlassen, verurteilt, falsch dargestellt. „Ich habe doch mein Bestes gegeben“, sagen sie – und das ist oft auch wahr.
Und trotzdem reicht dieses „Beste“ manchmal nicht aus.
Nicht für das Kind. Nicht für seine innere Wahrheit. Nicht für seine seelischen Wunden.
Wenn Liebe nicht ankommt
Elternschaft ist kein einfacher Weg. Die allermeisten Mütter (und Väter) lieben ihre Kinder – und trotzdem ist es möglich, dass diese Liebe beim Kind nicht heilend angekommen ist. Vielleicht war sie an Bedingungen geknüpft. Vielleicht wurde sie durch eigene seelische Verletzungen verzerrt oder gar überlagert. Vielleicht war sie da – aber nicht spürbar.
Und wenn dann das Kind irgendwann sagt: „Ich kann nicht mehr“, dann zerbricht etwas.
Nicht nur im Kind – sondern auch in der Mutter, dem Vater.
Es geht nicht um Schuld – sondern um Verantwortung
Dieser Text ist kein Angriff. Er ist eine Einladung.
Denn viele dieser Brüche haben tiefere Wurzeln. Sie sind nicht plötzlich da – sondern das Ergebnis einer langen inneren Spannung, unausgesprochener Gefühle, ungestillter Bedürfnisse. Oft wirken in Familien unbewusste, generationenübergreifende Muster, die sich wie ein roter Faden durch das Leben ziehen. Muster von Schuld, Scham, Leistung, Kontrolle, Schweigen oder Abwertung.
Und genau das bedeutet: Es geht nicht darum, wer „schuld“ ist. Sondern darum, ehrlich hinzusehen – auf das, was war, was gefehlt hat, was möglicherweise verletzt hat.
Schmerz ist echt – auf beiden Seiten
Wenn du diesen Text liest und selbst betroffen bist, dann möchte ich dir sagen:
Dein Schmerz ist echt. Deine Sehnsucht ist echt.
Aber auch dein Kind empfindet. Auch dein Kind hat vielleicht über Jahre geschwiegen, gelitten, sich angepasst. Und eines Tages entschieden: So nicht mehr.
Das ist keine Strafe. Sondern oft ein verzweifelter Versuch, sich selbst zu schützen.
Was jetzt?
Es ist leicht, in Bitterkeit zu verfallen, sich als Opfer zu fühlen oder die Schuld beim Kind zu suchen. Doch das hilft niemandem. Und es hält dich fest in der Vergangenheit.
Was heilsam ist – auch wenn es schwer ist – ist ein neuer Blick. Ein ehrlicher Blick.
Was habe ich selbst erlebt? Was habe ich weitergegeben, ohne es zu wollen?
Welche inneren Schutzmechanismen habe ich vielleicht gebraucht, die aber mein Kind verletzt haben?
Was war meine eigene Geschichte als Tochter oder Sohn?
Denn nur dort – im Erkennen – beginnt Heilung.
Und manchmal ist es gerade dieser Schmerz, der uns aufrüttelt, etwas zu verändern. Nicht für das Kind. Sondern erst einmal für uns selbst.